AUSZUG aus Tagebuchabschrift vom 10.-12.Juli 1962

July 3rd, 2009

Mein Mann und ich besuchten einen Kurs, um als Lagerleiter für den Service Civil International nach Indien zu gehen. Dann wurde ich schwanger, man nahm uns nicht mehr und wir landeten als Psychologie-Studenten bei Piaget. Auszug aus den damaligen Tagebuch-Leiterkurs-Notizen:

*****

12. Juli 62: Wir diskutieren viel (seit 10.7.62 – über Tage) über die drei Stichworte Religion, Sozialismus, Erziehung. 

… 3): Erziehung:

Warum entstehen Massenmenschen? Jedes Wesen wird doch als Individuum geboren?

Jedes Kind ist von klein auf ein Individuum mit einer eigenen Seele und schon einer angeborenen Vorstellung seiner Persönlichkeit + Entwicklung + Ausdruck. Warum wird der Mensch indifferent? Antwort: Wegen Erziehung und Umwelteinflüssen.

Unser heutiges Erziehungs-System (1962 !), aufgebaut auf der Basis des Bewusstseins unserer Eltern, welches ANGST bedeutet, versucht, das Kind in eine FORM, ein IDEAL, ein Dogma, eine Vorstellung, die die Eltern/Erzieher haben, hineinzuquetschen. Da die Eltern ihrer Natur und Entwicklung nach immer stärker sind als das Kind in diesem Kampf, wird das Kind früher oder später, spätestens mit 7 Jahren, unterliegen. Dadurch wird der eigene schöpferische Trieb, die eigene Gestaltungskraft, unterdrückt. Das Kind lernt, dass “man” etwas so und so macht, etc. Die Anpassung an die Gesellschaft, dass sogar der Wunsch nach vollkommener persönlicher Freiheit in der Regel verschwindet und der Durchschnitt-Massenmensch übrig bleibt. Die Eltern lassen auf der anderen Seite die Kinder wild heranwachsen, d.h., sie erlauben ihnen gleichviel Zügellosigkeit, Egoismus, Gewalttätigkeit und Triebhaftigkeit, wie sie selber besitzen.

Statt Selbstdisziplin in Freiheit und Selbstaufopferung gilt Zügellosigkeit unter dem Dogma der Form. Formalismus: die Form wird höher eingeschätzt als das Leben, das die Form belebt.

1): Spiessbürgertum: Formalismus, Buchstabenglaube, der nur das geschriebene, durch höhere äussere Gewalt festgelegte und geschützte Gesetz einhält. Alle ungeschriebenen Gesetze, die eine innere höhere Moral erfordern, werden als lächerlich, weil nicht von ihren … durchführbar, abgelehnt.

2): Ein Bewusstsein, das in seiner Form so festgefahren ist, dass sich jede Aktivität in ihren Hauptlinien jederzeit vorausberechnen lassen für jede beliebige Periode der Zukunft. Es können deshalb keine neuen Ideen angenommen werden, weil dies den Kurs ändern könnte und die so lieb gewordene Form müsste geopfert werden.

3): Dadurch Bekämpfung jeder neuen, anders gearteten Welle eines geistigen Ausdrucks, deren Erniedrigung und Beschimpfung, wegen der eigenen Unfähigkeit, wirklich echt zu leben, d.h. nicht zügellos geniessen, sondern den edlen, inneren schöpferischen Kräften undogmatisch und unvoreingenommen  freien Lauf lassen. Wenn ein Hund immer in einem dunklen Kellerloch eingesperrt ist, und plötzlich ins Freie kommt, wird er zügellos und weiss überhaupt nichts mit der neuen Freiheit anzufangen. Wenn ein junger Mensch die Gesetze des Konformismus bricht, so wird er in seinem Freiheitsrausch erst mal austoben, alles über den Haufen werfen, und nichts oder kaum etwas Rechtes machen.

SIEHE UNSERE HALBSTARKEN

Diese sind der beste Beweis, dass unsere Gesellschaft nicht fähig ist, ihrem eigenen Tempo Schritt zu halten. Die Technik, der Fortschritt schafft einen komplizierten, individualisierten Menschen. Dagegen ist nicht mehr anzukämpfen. Somit ist es mit der alten Erziehungsmethode endgültig Schluss. Weder Dogma, noch Peitsche, noch Zügellosigkeit lassen die Probleme lösen die Probleme von heute. (Nicht Selbstverherrlichung oder vollkommene Auflösung, sondern ein klares, vernünftiges Bewusstsein, das über der Materie und den Sinneseindrücken steht, ist nötig um die Lage zu meistern. Wir können nicht kneifen. Wenn wir unsere Probleme nicht lösen (d.h. wenigstens ein Teil dere Masse), so wird durch die Masse und deren Führer eine Gewaltlösung heraufbeschworen.

In diesem Sinne ist es ein Glück für die Masse, dass es die Halbstarken gibt. Nicht deren äusserer Ausdruck, sondern die Tatsache, dass es junge leute gibt, die die Kraft haben, unser festgefahrenes Spiessbürgertum anzugreifen. Dass sie es auf ihre uns bekannte Art machen, ist bedauerlich, ist aber ein Ausdruck des Mangels an geeigneten Menschheitsführern für die (intellektuell) zu hoch geschraubte und seelisch-psychisch zu vernachlässigte Rasse.

Spiessbürger = Pharisäer.

Weiter: Viele Eltern ziehen ihre Möbel und Teppiche ihren Kindern vor. Es darf keine Flecken machen und es darf nichts anrühren (doch, damals, um 1962 herum, war das vermehrt noch so).

Dadurch, dass man ihm im 2.-3. Lebensjahr so ziemlich alles verbietet, was zur Welt der Erwachsenen gehört, kann sich die eigenschöpferische Freiheit nicht entfalten, sondern wird schon in dieser Zeit in eine Form gezwungen.

Später, als erwachsene Menschen, werden sie in vielen Aspekten die gleichen Schemen- und Massenmenschen repräsentieren, wie man sie ihnen als Kind als Beispiel aufgezwungen hat und kaum einer wird es wagen, dagegen sich aufzulehnen, weil man im Unterbewusstsein noch die Erinnerung an den Klapf auf die Hand hat, wenn man etwas Verbotenes anrührte.

Dadurch wurde der Mensch eingeschränkt.

Er machte vielleicht auf diese Weise als Erwachsener weniger Dummheiten, wenn er gewisse Grenzen für sich selbst anerkennt, aber wohlbewusst, es sind nicht selbstgewählte Grenzen, und sie sind nicht in Selbstverantwortung anerkannt und in eigenen Fehlern erlernt, sondern rein aufgezwungen. Wenn man einem solchen Menschen die Grenzen wegnimmt, wird er wie ein freigelassener Kettenhund unvernünftig herumrasen und höchstens alles demolieren (ein Beispiel: Saufgelage ff).

Er wird nicht fähig sein, als charaktervolle Persönlichkeit den Nächsten in Freiheit zu achten und ihm das gleiche Recht zusprechen, weil er es ja nie gelernt hat, und weil ein Mensch, der innerlich unfrei ist, immer das Gefühl hat andern gegenüber, er sei übervorteilt worden und er sei zu kurz gekommen, was er in Wirklichkeit auch ist. Nur macht er den Fehler, seine geistige Unfreiheit und sein “zu kurz gekomen sein” in den materiellen Plan hineinzuprojezieren und vom Nächsten so viel als möglich vom materiellen Erbe, das der ganzen Menschheit gehört, für sich persönlich zu beanspruchen.

Man kann somit ruhig sagen, dass Geiz, Neid und Habgier auch in ihren schwächeren Formen, seelische Deformationen darstellen, die das Zeichen unentwickelter und seelisch behinderter Persönlichkeiten sind …

*****

Fazit:

Und: was gilt noch heute – im Jahre 2009?

Ich weiss, dass an vielen Orten die Kinder immer noch in zwangsneurotische Muster hineingezwängt werden. BESONDERS MÄDCHEN (die Vorstellung, was eine Frau denn zu sein hat, ist in vielen Männerköpfen noch zu dominant, um weiblichen Lebensmustern eine echte Selbständigkeit zu erlauben. Da muss man nicht erst bei den Muslimen vorbeigehen).

Frage: wie viel trägt Armut, Krieg und Lebensangst dazu bei, dass Familien faschistische Tendenzen als zum Überleben notwendig erachten?

Dann ist die jetzt geplant provozierte Weltkrise noch viel dreckiger und gemeiner, als blosser materieller Raub an Völkern. Dann ist dies ein Verbrechen gegenüber den gerade heranwachsenden Generationen. Denn gerade bei Krieg, auch Wirtschaftskrieg wird der Teufelskreis der sozial-darwinistischen Reflexe immer gestärkt. Zusammen mit faschistisch-zwangsneurotischem Verhalten.

Comments are closed.